Risikogen für bipolare Störung entschlüsselt

Erster experimenteller Nachweis gelungen

29. August 2024

Das Risikogen Adenylylcyclase 2 tritt in Zusammenhang mit bipolaren Störungen auf, das bestätigte sich immer wieder in genomweiten Assoziationsstudien. Doch der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs fehlte bislang. Den liefern nun Forschende vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI): Sie wiesen erstmals experimentell nach, dass Mäuse mit einer Risikovariante des Gens Verhaltensveränderungen zeigten, die an Symptome einer manischen Phase bei PatientInnen mit einer bipolaren Störung erinnern. Auch PatientInnen, oder zumindest ein Teil von ihnen, dürfte diese Mutation aufweisen. Das könnte langfristig einen Ansatzpunkt für neue, wirksamere und individuellere Therapien bilden.

Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens an einer bipolaren Störung zu erkranken, beträgt für jeden Einzelnen etwa ein Prozent. Das bedeutet, dass es in Deutschland rund 2,5 Millionen Betroffene gibt. Die affektive Erkrankung beeinträchtigt meist massiv und ist schwer zu behandeln. Verschiedene Gene stehen in Verdacht, Menschen anfälliger für eine bipolare Störung zu machen. MPI-WissenschaftlerInnen um Forschungsgruppenleiter Jan Deussing wollten wissen, welche Funktion das Risikogen Adenylylcyclase 2 in diesem Zusammenhang hat. Sie nutzten Zellkulturen und Mausmodelle, um die dahinterliegenden molekularen Prozesse zu verstehen.

In Zellkulturexperimenten konnten sie zunächst zeigen, dass die Risikovariante der Adenylylcyclase 2 zu einer verminderten Fähigkeit der Produktion des für die Informationsübertragung innerhalb der Zelle wichtigen Signalmoleküls cAMP führt. Darauf aufbauend riefen sie bei Mäusen künstlich die entsprechende Adenylylcyclase 2-Mutation hervor. Tatsächlich zeigten die Nager daraufhin Manie-ähnliches Verhalten in Form von erhöhter Aktivität, einem stärkeren Explorationsverhalten und einer aktiveren Annäherung an eine neue Umgebung. Gleichzeitig waren ihre kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt; eine Begleiterscheinung der bipolaren Störung, wie man sie auch bei PatientInnen beobachtet. Weitere Hinweise auf den Zusammenhang mit der psychiatrischen Erkrankung ließen sich in einer Hyperresponsibilität finden, die die Nagetiere auf Amphetamin zeigten. Wie bei Menschen, führte die Gabe bei den Tieren zu verstärkter Hyperaktivität. Außerdem war die Dopaminausschüttung im Gehirn der Mäuse erhöht – ein weiterer Effekt, den ExpertInnen ähnlich auch bei Menschen beobachten, die an einer bipolaren Störung leiden. Eine Theorie zur Erklärung von Manien beim Menschen basiert auf der erhöhten Dopaminausschüttung. Zudem gehen ExpertInnen davon aus, dass die Balance zwischen aktivierenden und hemmenden neuronalen Netzwerken gestört ist. Im Mausmodell beobachteten die MPI-WissenschaftlerInnen ebenfalls eine Verstärkung der aktivierenden Netzwerke. Zu den wirksamsten Medikamenten zur Behandlung bipolarer Störungen gehört Lithium, das im Mausmodell ebenfalls seine Wirksamkeit bei der Abschwächung der Manie-ähnlichen Symptome zeigte.

Gene spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung bipolarer Störungen, aber auch Umweltfaktoren wie Stress sind beteiligt. Im Mausmodell bestätigte sich das, die Nager mit der krankheitsassoziierten Genvariante reagierten unter Stress anders, sie wechselten früher von einer manischen in eine depressive Phase. Das lässt Rückschlüsse auf entsprechende Signalwege zu, die betroffen sind.

Signalmolekül als neuer therapeutischer Ansatz

Die Erkenntnisse über die Bedeutung der Adenylylcyclase 2 könnten Ansatzpunkte für neue, wirksamere und individuellere Therapieansätze liefern. „Die Mutation wirkt sich direkt auf die Aktivität des Proteins aus. Das sogenannte second messenger Signalmolekül cAMP, das verschiedene Signalwege in Gang setzt, ist hier beteiligt. Es findet sich in vielen Signalwegen im menschlichen Körper und stellt daher vermutlich einen günstigen Ansatzpunkt für zukünftige Therapien dar“, weiß Deussing.

Der MPI-Wissenschaftler wählte mit seinem Team das Risikogen Adenylylcyclase 2 für ihre Analysen aus, da die krankheitsassoziierte Genvariante direkt zu einer veränderten Aktivität des Proteins führt. Die meisten anderen für bipolare Erkrankungen identifizierten Genvarianten haben keine unmittelbare Auswirkung auf die Aktivität eines Proteins, da sie nicht in unmittelbar proteinkodierenden Regionen des Genoms liegen. Das macht sie weniger geeignet für die Analyse molekularer Prozesse im Mausmodell, da die Unterschiede zwischen Mensch und Tier hier sehr viel größer sind. Die Eigenschaften der Proteine selbst aber sind bei Mensch und Maus nahezu identisch.

 

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