Timing ist alles

Am Sonntag, den 30. März 2025, werden die Uhren in Deutschland auf Sommerzeit umgestellt. Was das mit dem Menschen macht, erklären Mitarbeitende von drei verschiedenen Max-Planck-Instituten

24. März 2025

Auf den Punkt gebracht

  • Die innere Uhr, die im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) im Gehirn sitzt, reguliert verschiedene Körperprozesse, darunter Schlaf, Verdauung und Immunantworten.
  • Nach der Zeitumstellung nehmen Verkehrsunfälle um etwa sechs Prozent zu, und die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkte steigt in den Tagen nach der Umstellung um 24 Prozent.
  • Die innere Uhr beeinflusst nicht nur den SCN, sondern auch andere Körperorgane, die ihre eigenen Rhythmen haben, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann.
  • Menschen mit Schlafstörungen sind besonders von den Folgen der Zeitumstellung betroffen.
  • Max-Planck-Wissenschaftler schlagen vor, die Zeitumstellung abzuschaffen, die die innere Uhr aus dem Takt bringt.

Text: Nora Lessing

Tief verborgen im Inneren unserer Körper ticken sie: Molekulare Uhren, die lebenserhaltende Prozesse koordinieren. Von ihnen hängt ab, wie wach wir sind, ob unsere Verdauung auf Hochtouren läuft, wie abwehrbereit unser Immunsystem ist. Der zentrale Zeitgeber sitzt im Gehirn und trägt den schönen Namen suprachiasmatischer Nukleus (SCN). „Der SCN ist verbunden mit dem Auge“, erklärt der Chronobiologe Manuel Spitschan vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Er forscht dazu, wie Lichtreize die innere Uhr feinjustieren. „In unserer Netzhaut trifft Licht auf melanopsinhaltige Ganglienzellen. Die wandeln das Lichtsignal in Nervenimpulse um und leiten diese weiter an den SCN, also an die innere Uhr.“ Fällt Licht ins Auge, verändert die innere Uhr zum Beispiel die Hormonausschüttung: Wir werden wach, unsere Konzentration steigt.

Die innere Uhr und die soziale Zeit ticken nicht im Einklang

Dem entgegen steht die soziale Zeit als gesellschaftliche Konvention. Sie tickt auf Armbanduhren, Computern und Handys. Unserer inneren Uhr jedoch ist sie ziemlich gleichgültig. „Für unseren Körper ist und bleibt die Sonnenzeit das entscheidende Signal“, betont Manuel Spitschan. So sind Konflikte programmiert, wenn Lichtsignale und soziale Zeitgeber nicht miteinander synchronisiert sind. „Wenn die soziale Uhr umgestellt wird und ich plötzlich eine Stunde früher aufstehen muss, dann ist die innere Uhr nicht eingestellt auf diese neuen Bedingungen. Die Folge ist eine Art sozial bedingter Jetlag.“ Wie lange es dauert, bis sich unsere innere Uhr an die neue Zeit gewöhnt, ihre im Tagesverlauf perfekt getimten Signale neu justiert hat, hängt von der persönlichen Konstitution ab. Im Schnitt gehen Forschende von ein bis vier Tagen Umstellungszeit aus.

Wer schon einmal eine Fernreise unternommen hat, weiß: Auch der schlimmste Jetlag geht vorüber. Der Körper ist anpassungsfähig, kann veränderte Anforderungen verknusen. So könnte man meinen, dass es auf eine Stunde mehr oder weniger eigentlich nicht ankommt. Tatsächlich aber zeigen einige Studien, dass die Folgen von Zeitumstellungen durchaus gewichtig sein können. Kurz, nachdem die Uhr eine Stunde vorgestellt wurde, nehmen etwa Verkehrsunfälle um rund sechs Prozent  zu. Hintergrund ist vermutlich, dass mehr übermüdete und deshalb unkonzentrierte Autofahrerinnen und Autofahrer auf den Straßen unterwegs sind. Zugleich erleiden nach Zeitumstellungen überdurchschnittlich viele Menschen einen Schlaganfall. Forschende von der University of Colorado zählen etwa 24 Prozent mehr Herzinfarkte  am Montag, nachdem die Uhr eine Stunde vorgestellt wurde. Woran liegt das?

„Der SCN gilt als die wichtigste, ist aber nicht die einzige innere Uhr“, erklärt Pieterjan Dierickx vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung. Er untersucht, wie sich der Herzstoffwechsel im Laufe eines Tages verändert und welche Folgen es hat, wenn dieser durcheinander gerät. „Die Leber, die Bauchspeicheldrüse, das Herz – sie alle bekommen Signale vom SCN. Zugleich haben sie jeweils aber auch eine eigene innere Uhr, mit deren Hilfe sie alle möglichen rhythmisch ablaufenden Prozesse im Körper steuern.“ Im Laufe eines Tages funken diese peripheren, inneren Uhren Signale in einer ganz bestimmten Reihenfolge und Intensität. Je nach Maßgabe der Herzuhr etwa, kann der Herzmuskel so zu bestimmten Tageszeiten besonders gut Blut pumpen – oder ist besonders anfällig für Stress und Krankheitserreger. Gerade die frühen Morgenstunden scheinen kritisch zu sein. Herzinfarkte treten zu dieser Zeit besonders häufig auf und fallen oft zugleich überdurchschnittlich heftig aus – bei Menschen wie bei Mäusen.

Nach der Zeitumstellung gibt es mehr Herzinfarkte

„Die genauen Mechanismen, warum es unmittelbar nach der Zeitumstellung mehr Herzinfarkte gibt, sind bislang noch nicht aufgeklärt“, sagt Pieterjan Dierickx. „Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Störung der inneren Uhr in Folge der Zeitumstellung hier hineinspielt.“ Hinweise liefern zahlreiche Tierexperimente. Mäuse etwa, die bis zu drei Monate lang alle vier Tage einem Fernreisejetlag ausgesetzt werden – hierzu schalten Forschende das Licht dann plötzlich acht Stunden früher ein als üblich – werden mit der Zeit schwer krank. „Die Komplikationen sind drastisch: Das Herz vergrößert sich und das Herzgewebe zeigt Anzeichen einer entzündlichen Veränderung, der Blutzuckerspiegel steigt und diese Mäuse sind auch anfälliger für eine Gewichtszunahme“, sagt Pieterjan Dierickx. „All das sind Risikofaktoren, die zu schweren Herzproblemen und zu Herzversagen führen können.“

Menschen mit Schlafstörungen leiden besonders unter der Zeitumstellung

Matthias Knop beobachtet die gesundheitlichen Folgen gestörter Schlaf-Wach-Rhythmen nicht an Mäusen, sondern an Menschen. Der Neurologe arbeitet in der Schlafambulanz des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Depressionen, Demenzen, Parkinson – viele Erkrankungen begünstigen Schlafstörungen und werden für die Betroffenen somit zur doppelten Belastung. Doch nicht alle Patienten, die mit ihrer inneren Uhr kämpfen, sind auch wirklich krank. „Ganz oft kommen Menschen zu uns, die sich wünschen, jederzeit ins Bett gehen, erholt wieder aufspringen und energiegeladen in den Arbeitstag gehen zu können“, so der Mediziner. „Wenn man allerdings ab Donnerstag immer um drei Uhr nachts ins Bett geht und am Sonntag möchte, dass der Rhythmus direkt wieder umschwingt, dann funktioniert das leider nicht.“ Ein gewisses Kontingent hat jeder Mensch, mit solchen Rhythmusveränderungen umzugehen – und „wenn man das überreizt, bin ist man am nächsten Tag nicht so leistungsfähig. Solange man das akzeptiert, ist das eigentlich kein großes Problem.“

Wer bereits eine Schlafstörung habe oder chronisch krank sei, leide bei Zeitumstellungen oft überdurchschnittlich stark. „Aber der gesunde Mensch schafft das schon – oft nicht in einem, aber zumindest innerhalb einiger Tage.“ Aus Sicht der Schlafmedizin sei es wichtig, sich selbst nicht unnötig unter Druck zu setzen. „Viele Schlafprobleme entstehen erst dadurch, dass das Thema übermäßig in den Fokus rückt.“

Die Sommerzeit abschaffen

Herzexperte Pieterjan Dierickx rät, in den Tagen nach der Zeitumstellung von Koffeinkapseln und sonstigen Wachmachern die Finger zu lassen. „Das ist nicht gut für die Herzgesundheit und bringt die innere Uhr nur noch weiter durcheinander.“ Fragt man ihn persönlich, dann würde der Forscher die Zeitumstellung abschaffen – genau wie sein Kollege Manuel Spitschan. „Die Zeitumstellung ist eine Herausforderung für die innere Uhr und dabei ein komplett menschengemachtes Problem. Physiologisch wäre es schlauer, einfach in der Normalzeit, umgangssprachlich Winterzeit, zu bleiben.“

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