Molekularer Wirkmechanismus von Antidepressiva wurde entdeckt
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben in Zusammenarbeit mit einer Forschergruppe des Biomedizinischen Forschungsinstituts von Buenos Aires (IBioBA) Studien zur Wirkungsweise von Antidepressiva durchgeführt. Dabei haben sie einen molekularen Mechanismus gefunden, der dazu beiträgt, die Funktionsweise dieser Medikamente zu erklären. Dieser Mechanismus könnte Ausgangspunkt für die Entwicklung personalisierter Medikamente sein. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Molecular Psychiatry der Nature-Gruppe veröffentlicht.
Tiere leiden nicht unter posttraumatischem Stress: Wenn es einem Zebra beispielsweise gelingt, vor einem Löwen zu fliehen, ist es danach auf einer Weide wieder ruhig und macht das, was es tat, bevor es sich in Gefahr fühlte. Im menschlichen Gehirn kann es zu einer Fehlregulierung des Stresssystems kommen. Was Stress auf molekularer Ebene hervorruft, ist komplex – es ist eine Kette von Signalen, die aktiviert wird und unseren Organismus in Alarmbereitschaft versetzt: Glukokortokoide können mittels des Glukokortikoid-Rezeptors (GR) in allen Zellen unseres Körpers wirken. Der GR wandert in den Zellkern – hier erfüllt er seine biologische Funktion, indem er Gene reguliert, die das Alarmsignal (d. h. die Reaktion auf Stress) ausführen.
Der GR hat einen negativen Regulator: Das Protein FKBP51 hemmt die Wanderung des GR in den Zellkern (oder lässt die Wanderung nicht zu). „Wir haben FKBP51 insbesondere deshalb untersucht, weil bekannt ist, dass hohe Konzentrationen dieses Proteins mit stressbedingten Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Diese hängen wiederum mit einer Resistenz gegenüber dem Glukokortikoid-Rezeptor zusammen. Es ist so, als ob es einen Reiz gibt und der GR nicht richtig reagieren kann", erklärt die Postdoktorandin Ludmila Budziñski, die zusammen mit der Doktorandin Clara Sokn Erstautorin der Arbeit ist.
Darüber hinaus ist FKBP51 ein Ziel der SUMOylierung (eine Modifikation, die nach der Herstellung des Proteins erfolgt). „Das heißt, das SUMO-Peptid bindet an den GR, und das ist notwendig, damit der Rezeptor seine hemmende Wirkung ausüben kann", erklärt Ana Liberman, Leiterin des Forschungsprojekts. Um SUMOyliert zu werden, benötigt FKBP51 wiederum die SUMOylierungs-Enzymmaschinerie, insbesondere PIAS4. Dieses Enzym ermöglicht die spezifische und effektive SUMOylierung von FKBP51.
Die Arbeit beschreibt, dass trizyklische Antidepressiva die SUMOylierung von FKBP51 hemmen. FKBP51 und PIAS4 interagieren weniger und verursachen so diese Hemmung. Dies wirkt sich direkt auf die negativen regulatorischen Funktionen von FKBP51 auf den GR aus (welcher bei stressbedingten Krankheiten dereguliert ist). Somit wirken Antidepressiva als molekularer Schalter: Sie unterdrücken die SUMOylierung von FKBP51 – dies trägt dazu bei, die Empfindlichkeit des Glukokortikoid-Rezeptors wiederherzustellen.
Zusammengefasst zeigt diese Veröffentlichung einen potentiellen neuen Wirkmechanismus von Antidepressiva. Dieser hilft zu erklären, wie Antidepressiva die Wiederherstellung des Gleichgewichts des Stresssystems begünstigen, das bei stressbedingten psychiatrischen Erkrankungen gestört ist. Aufgrund der wachsenden Notwendigkeit mit neuen Strategien diese Art von Krankheiten zu behandeln, insbesondere in der aktuellen Pandemie-Situation, „ist es von größter Bedeutung, den molekularen Mechanismus, der an der Modulation der FKBP51-Aktivität durch die SUMOylierung beteiligt ist, zu untersuchen sowie mögliche Inhibitoren zu identifizieren“, so Liberman. Ein tieferes Verständnis, wie diese Medikamente wirken, könnte in Zukunft dazu beitragen, neuere Antidepressiva mit neuen Wirkmechanismen und weniger Nebenwirkungen zu entwickeln. Dies gilt „insbesondere bei Patienten, die erhöhte Level des FKBP51 aufzeigen oder deren FKBP51 aktiver ist. Diese Ergebnisse tragen zweifellos zum Verständnis der Bedeutung personalisierter Medizin bei“, schließt Liberman.