Neurobiologische Schlafforschung: Neue Erkenntnisse durch funktionelle bildgebende Untersuchungen
Forschungsbericht (importiert) 2004 - Max Planck Institut für Psychiatrie
Schlaf wird durch messbare Veränderungen der elektrischen Aktivität des Gehirns eindeutig definiert. Mit der von Hans Berger ab 1924 entwickelten Elektroenzephalographie (EEG) steht der Schlafforschung eine Methode zur Verfügung, um die Gehirnaktivität kontinuierlich aufzuzeichnen, ohne eine Störung des Schlafenden zu verursachen. Dieses so genannte Schlaf-EEG zeigt, dass die Frequenz der elektrischen Aktivität mit zunehmender Schlaftiefe abnimmt und der Tiefschlaf durch synchrone Wellen mit hoher Amplitude gekennzeichnet ist. Die Entdeckung des REM (rapid eye movements)-Schlafes durch Eugene Aserinsky und Nathaniel Kleitman (1953) veränderte grundlegend die frühere Sichtweise des Schlafs als eines Zustands reduzierter Aktivität, da die Gehirnströme im REM-Schlaf ein hochfrequentes Muster aufweisen, das demjenigen im Wachzustand ähnlich ist. Gleichzeitig tritt – mit Ausnahme der Augen- und Atembewegungen – eine vollständige Lähmung der willkürlichen Muskulatur ein. Alle Schlafstadien, die nicht die Kennzeichen des REM-Schlafes aufweisen, werden zum „nonREM“-Schlaf zusammengefasst, der in Abhängigkeit vom Anteil hochamplitudiger und langsamer EEG-Wellen in die Stadien 1 bis 4 unterteilt wird. NonREM- und REM-Schlaf stellen somit zwei völlig verschiedene physiologische Zustände dar, die sich nicht nur hinsichtlich der elektrischen Biosignale, sondern auch in einer Vielzahl anderer Messgrößen unterscheiden, wie etwa der vegetativen Regulation, der hormonellen Sekretion und kognitiver Prozesse, insbesondere der Träume. Schlaf ist für das Überleben des Organismus zweifellos notwendig; dennoch ist nach wie vor nicht bekannt, worin genau die Funktion des Schlafes liegt und auf welche Weise Schlaf das komplexe Zusammenspiel von psychischen, neuroendokrinen und immunologischen Prozessen beeinflusst.
Bildgebende Untersuchungen helfen, der funktionellen Neuroanatomie des Schlafes näher zu kommen
Fortschritte für das Verständnis des Schlafes werden insbesondere von einer genaueren Identifizierung und Charakterisierung derjenigen Hirnregionen erwartet, welche die verschiedenen Schlafphasen regulieren. Das EEG reicht dafür nicht aus, da es zwar eine hervorragende zeitliche, jedoch keine ausreichende räumliche Auflösung bietet, um funktionell-topographische Untersuchungen durchzuführen. Hierzu sind die modernen funktionellen bildgebenden Methoden wesentlich besser geeignet, insbesondere die Positronenemissionstomographie (PET) und die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Jede dieser Techniken beruht auf einer unterschiedlichen Signalverarbeitung und weist spezifische Vor- und Nachteile hinsichtlich des zeitlichen und räumlichen Auflösungsvermögens, der Belastung und Sicherheit der untersuchten Person sowie der entstehenden Kosten auf. Den Methoden ist gemeinsam, dass sie auf dem Prinzip der neurovaskulären Kopplung beruhen, das heißt sie stellen neuronale Aktivität indirekt aus Messungen der regionalen Durchblutung dar. Aufgrund der methodischen Anforderungen finden funktionelle bildgebende Untersuchungen erst seit wenigen Jahren Eingang in die Schlafforschung.
Technische Grundlagen kombinierter EEG/fMRT-Untersuchungen
Im Gegensatz zur PET-Technik wird mit der fMRT-Methode die paramagnetische Eigenschaft von deoxygeniertem Hämoglobin ausgenutzt (BOLD-Effekt: blood oxygen level dependent). Die Münchner Wissenschaftler um Thomas-Christian Wetter identifizieren die aktivierten Hirnareale, indem sie die Kontrollmessung mit der Stimulationsmessung vergleichen und die spezifische Signalvermehrung berechnen. Infolge der hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung ist die fMRT allen anderen funktionellen bildgebenden Methoden überlegen. Für die sichere Identifizierung der Schlafstadien muss jedoch parallel zur fMRT das EEG kontinuierlich erfasst werden. Allerdings ist die Umgebung im Tomographen ausgesprochen ungünstig für ein stabiles Schlafstadium. Die von den Gradientenspulen erzeugten lauten Klopfgeräusche und die auf Dauer unbequeme Rückenlage in räumlicher Enge erschweren das Einschlafen und die Untersuchung unter möglichst „natürlichen“ Bedingungen. Darüber hinaus ist für die simultane Anwendung der EEG/fMRT-Methode ein Polysomnographie-System notwendig, das für die spezifischen Bedingungen eines Hochfeldmagnetresonanztomographen von 1,5 Tesla konzipiert ist. EEG-Artefakte, die einerseits durch die Messsequenzen des MR-Tomographen, andererseits durch die Herztätigkeit, die Pulswellen sowie durch Bewegungen der Probanden entstehen, beeinträchtigen die Auswertungen und müssen durch Anwendung eigens entwickelter Algorithmen in der Nachverarbeitung der Daten bereinigt werden, sodass eine sichere Zuordnung zu den Schlafstadien möglich ist (Abb. 1).
Aufgrund dieser Schwierigkeiten wurden kombinierte fMRT/EEG-Untersuchungen im Schlaf bisher nur in sehr wenigen Forschungslabors durchgeführt. Eine schematische Darstellung des nunmehr am Max-Planck-Institut für Psychiatrie erfolgreich verwirklichten Versuchsaufbaus ist in Abbildung 2 wiedergegeben.
Im nonREM-Schlaf können differenzierte akustisch-induzierte Aktivierungsmuster abgebildet werden
Ein charakteristisches Verhaltensmerkmal im Schlaf ist die fehlende oder nur sehr geringe Reaktion des Organismus auf äußere Reize. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Kernspintomographie (Michael Czisch und Dorothee Auer) gehen die Wissenschaftler um Thomas-Christian Wetter und Thomas Pollmächer der Frage nach, inwieweit das „schlafende Gehirn“ akustische Reize wahrnehmen und verarbeiten kann. Hierzu führten sie simultane EEG/fMRT-Untersuchungen durch. Gesunden Versuchspersonen wurden akustische Reize, insbesondere gesprochene Texte, in den verschiedenen Schlafstadien über einen Kopfhörer eingespielt. Die Auswertungen ergaben, dass auch während des Schlafes im Bereich der primären und sekundären Hörrinde eine Aktivierung von Nervenzellen auftritt. Diese nimmt aber mit zunehmender Schlaftiefe deutlich ab und ist im Tiefschlaf nicht mehr nachweisbar (Abb. 3). Das Gehirn ist zumindest im leichten nonREM-Schlafstadium in der Lage, Reize zu erkennen, weshalb der Organismus je nach Bedeutung darauf reagieren kann [1]. Im mitteltiefen Schlaf (Schlafstadium 2) war hingegen eine ausgeprägte kortikale und subkortikale Deaktivierung festzustellen (Abb. 3).
Dieses überraschende Ergebnis scheint Ausdruck einer verminderten neuronalen Aktivierung unter akustischer Stimulation zu sein und muss als schlafprotektiver Mechanismus des Gehirns interpretiert werden. In Übereinstimmung mit dieser Hypothese ergab eine Analyse der EEG-Spektraldaten eine signifikante Zunahme langsamer synchronisierter EEG-Frequenzen (so genannte K-Komplexe) unter den Stimulationsbedingungen, die mit dem Ausmaß und der Amplitude des negativen BOLD-Signals korrelierten [2]. Für diese K-Komplexe, die ganz überwiegend unter physiologischen Bedingungen im Schlafstadium 2 auftreten, wird bereits seit längerem ein schlafprotektiver Mechanismus diskutiert.
Im phasischen REM-Schlaf kommt es zu einer funktionellen Unterdrückung externer sensorischer Reize
Beim REM-Schlaf handelt es sich um einen Bewusstseinszustand, der eine Untersuchung mit bildgebenden Methoden besonders interessant aber auch schwierig macht, da REM-Schlaf unter den spezifischen Untersuchungsbedingungen des Kernspintomographen unterdrückt wird. Dennoch gelang es den Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie erstmals, die maßgeblichen elektrophysiologischen Biosignale auch während des REM-Schlafes im Scanner abzuleiten [3]. Die Analyse der Untersuchungen zeigte in Abhängigkeit vom Vorhandensein rascher Augenbewegungen zwei sehr unterschiedliche Aktivierungsmuster: Im tonischen REM-Schlaf (Episode, in der keine raschen Augenbewegungen vorhanden sind) zeigte sich ein positives BOLD-Signal, das demjenigen im Wachen sehr ähnlich ist. Im phasischen REM-Schlaf (REM-Episode mit raschen Augenbewegungen) wurde dagegen eine ausgeprägte Abnahme des BOLD-Signals (Deaktivierung) in kortikalen Arealen und im Thalamus gemessen, einer zentralen Schaltstelle des Gehirnes für die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Diese thalamische Deaktivierung deutet auf eine Unterdrückung externer sensorischer Reize nur im phasischen REM-Schlaf und somit auf funktionelle Unterschiede zwischen beiden REM-Episoden hin. Weitere statistische Analysen zur funktionellen Konnektivität ergaben ein Aktivierungsmuster im Sinne eines Netzwerkes thalamischer und kortikaler Strukturen, das eine wesentliche Bedeutung in der Physiologie des REM-Schlafes hat.
Ausblick
Die simultane Messung von EEG und fMRT bietet eine hervorragende Möglichkeit, zeitlich-räumliche Muster der Reiz- und Informationsverarbeitung im Schlaf zu untersuchen. Zu einer genaueren Identifizierung derjenigen Hirnregionen, welche die verschiedenen Schlafphasen regulieren, ist es jedoch sinnvoll, auf die akustische Stimulation als Paradigma der Aktivierung zu verzichten und die verschiedenen Schlafstadien bzw. deren spezifische EEG-Spektraldaten der statistischen Analyse direkt zugrunde zu legen. Im Vergleich zu PET-Untersuchungen können mit einer solchen „stimulationslosen“ EEG/fMRT-Technik aufgrund einer deutlich günstigeren Orts- und Zeitauflösung detailliertere Aussagen zur Topographie der Aktivierungsmuster und damit zur funktionellen Anatomie des Schlafes gewonnen werden. In einem nächsten Schritt ist geplant, unter Kontrolle des Wachheitsgrades kognitive Prozesse nach Schlafentzug sowie Effekte von Psychopharmaka auf die regionale Hirnaktivierung zu untersuchen, um die funktionellen neuroanatomischen Grundlagen adaptiver Mechanismen des Gehirnes besser zu verstehen.