Personalisierte Antidepressiva Therapie
In der medikamentösen Behandlung von depressiven Menschen besteht ein bisher ungeklärtes Problem darin, dass PatientInnen auf ein bestimmtes Antidepressiva mit ganz unterschiedlichem Therapieerfolg reagieren. Individuelle genetische und stoffwechselbedingte Unterschiede führen dazu, das Medikamente im Organismus der einzelnen Personen ungleich wirksam sind. Unsere Forschung der letzten Jahre konnte nun den Transport von Antidepressiva durch die Blut-Hirn-Schranke als eine Ursache individuellen Therapieerfolgs aufklären. Abhängig von der Effizienz dieses Transportsystems werden therapeutisch wirksame Medikamentenkonzentrationen im Gehirn von PatientInnen erreicht oder eben nicht. Da die Qualität dieses Systems aus den Genen ablesbar ist, nutzen wir für unsere klinische Praxis im definierten Einzelfall diesen Befund um mit Hilfe der Bestimmung des genetischen Profils der PatientInnen eine personalisierte Therapie mit Antidepressiva einzuleiten.
Antidepressiva entfalten ihre Wirkung über die Beeinflussung bestimmter Rezeptoren und Strukturen im Gehirn. Um dorthin zu gelangen, müssen sie nach Einnahme und Transport im Blut und Geweben die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Dies ist eine physiologische Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem, welche dazu dient, die Milieubedingungen im Gehirn aufrecht zu erhalten und sie von denen des Blutes abzugrenzen. Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor im Blut zirkulierenden Krankheitserregern, Toxinen und Botenstoffen. Sie stellt einen Filter dar, über den die vom Gehirn benötigten Nährstoffe zugeführt und die entstandenen Stoffwechselprodukte abgeführt werden. Die Ver- und Entsorgung wird durch eine Reihe spezieller Transportsysteme gewährleistet.
Die medikamentöse Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen des Zentralennervensystems wird durch diese Schutzfunktion des Gehirns erschwert. Viele Wirkstoffe können die Blut-Hirn-Schranke nicht ungehindert passieren oder werden durch spezielle Transportmechanismen wieder aktiv ins Blut zurücktransportiert, so das die Konzentration dieser Medikamente im Gehirn niedrig bleibt. Ein solches Transportsystem stellt das P-Glykoprotein dar. Dieses Eiweißmolekül ist Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke und transportiert Substanzen aus dem Zentralnervensystem wieder aktiv ins Blut zurück. Untersuchungen konnten zeigen, dass bestimmte Antidepressiva vom P-Glykoprotein erkannt und von diesem Protein teilweise wieder aus dem Zentralnervensystem heraustransportiert werden. Wie effizient dieser Rücktransport allerdings erfolgt ist abhängig von der Aktivität und Ausprägung dieses P-Glykoproteins, welches maßgeblich über seine genetische Blaupause, das ABCB-1 Gen, festgelegt wird. Beim Menschen konnten nun verschiedene genetische Varianten des ABCB-1 Gens identifiziert werden, von denen einige günstig, andere ungünstig für die Medikamentenwirkung sind. PatientInnen mit einem sehr ungünstigen Genotyp erreichen zu geringe Konzentrationen eines Antidepressivums im Zentralnervensystem, und das Medikament kann seine volle Wirkung nicht entfalten. Dies betrifft jedoch nur diejenigen Antidepressiva, die vom P-Glykoprotein transportiert werden, wie z. B. Citalopram, Escitalopram, Venlafaxin, Paroxetin und Amitriptylin. Die Antidepressiva Mirtazapin und Fluoxetin werden nachweislich nicht durch das P-Glykoprotein beeinflusst. In einer klinischen Studie des Max-Planck-Institut für Psychiatrie konnte gezeigt werden, dass abhängig von der Struktur des P-Glykoproteins, identifiziert über die DNA Sequenz des ABCB1 Gens, tatsächlich das Therapieansprechen von einzelnen PatientInnen auf Antidepressiva vorhergesagt werden kann (Neuron 57, 203-209, January 24, 2008).
Die wissenschaftliche Datenlage rechtfertigt derzeit jedoch keine routinemäßige Anwendung der ABCB1-Genotypisierung. Eine Vorhersage des Ansprechens auf ein bestimmtes Antidepressivum ist aktuell nicht mit ausreichender Sicherheit möglich und muss daher Gegenstand prospektiver klinischer Vergleichsstudien sein.